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Sonntag, 01.01.2012

Neue Rechtsprechung im Reisekostenrecht beachten!

Ob ein Arbeitnehmer zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte fährt oder zu einer Auswärtstätigkeit unterwegs ist, spielt im steuerlichen Reisekostenrecht eine große Rolle. Die Frage ist – auch wenn die Rechtsprechung immer wieder versucht, das Reisekostenrecht zu vereinfachen – nach wie vor in vielen Fällen nicht einfach zu beantworten. Handelt es sich um eine Auswärtstätigkeit, können Verpflegungsmehraufwendungen steuerfrei ausgezahlt und bei Fahrten mit dem Dienstwagen muss kein zusätzlicher geldwerter Vorteil erfasst bzw. kann Kilometergeld gezahlt werden.

Als regelmäßige Arbeitsstätte versteht man den ortsgebundenen Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers. Dazu zählt insbesondere jede ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Mitarbeiter zugeordnet ist und die er mit gewisser Nachhaltigkeit aufsucht. Ein Arbeitnehmer konnte nach bisheriger Praxis auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten haben, wenn er in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig war. Diese Praxis sorgte für komplizierte Berechnungen bei der Lohnsteuer und im Bereich der Spesenerstattung. So musste etwa bei betroffenen Arbeitnehmern mit Dienstwagen der geldwerte Vorteil bei mehreren Arbeitsstätten jeweils gesondert berechnet oder die Entfernungspauschale „aufgesplittet“ werden, wenn mehrere Tätigkeitsstätten an einem Tag aufgesucht wurden. Diese Handhabung setzte sich bei der Berechnung der Verpflegungsmehraufwendungen fort.

Im Übrigen ging die Finanzverwaltung bereits dann von einer regelmäßigen Arbeitsstätte aus, wenn der Arbeitnehmer die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers durchschnittlich im Kalenderjahr an einem Arbeitstag je Arbeitswoche aufsuchte, sog. 46-TageRegelung. Dabei spielte es keine Rolle, wie lange er sich dort aufhielt und welche Tätigkeiten er da verrichtete. Der BFH hat diese Sichtweisen grundlegend geändert:

  • Arbeitnehmer können höchstens eine regelmäßige Arbeitsstätte haben.
  • Lässt sich eine herausgehobene Bedeutung einer betrieblichen Einrichtung nicht feststellen, hat der Arbeitnehmer gar keine regelmäßige Arbeitsstätte. Es liegt insgesamt eine Auswärtstätigkeit vor.
  • Das schlichte Aufsuchen einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, etwa zu Kontrollzwecken, führt nicht bereits zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte, weil der Arbeitnehmer mit einer gewissen Häufigkeit immer wieder dorthin kommt.

Die Finanzverwaltung will die neue Rechtsprechung des BFH in allen noch offenen Fällen anwenden. Allerdings legt sie konkret fest, dass von einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen ist, wenn der Arbeitnehmer auf Grund der dienstrechtlichen/arbeitsvertraglichen Festlegungen einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet ist oder in einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers

  • arbeitstäglich,
  • je Arbeitswoche einen vollen Arbeitstag oder
  • mindestens 20 % seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll (Prognoseentscheidung).

Wer abweichend davon eine andere betriebliche Einrichtung zur regelmäßigen Arbeitsstätte bestimmt oder von gar keiner regelmäßigen Arbeitsstätte ausgeht, muss das anhand des inhaltlichen bzw. qualitativen Schwerpunkts der Tätigkeit nachweisen oder glaubhaft machen können.

Die neue Sichtweise bringt vor allem Vorteile bei der Firmenwagenbesteuerung und der Reisekostenabrechnung. So können z.B. Außendienstmitarbeiter, die sich lediglich einmal in der Woche für kurze Zeit am Betriebssitz des Arbeitgebers aufhalten, davon profitieren, dass sie überhaupt keine regelmäßige Arbeitsstätte mehr haben. Musste bislang bei Firmenwagennutzung der Zuschlag zur pauschalen 1 %-Regelung wegen der Fahrt zur regelmäßigen Arbeitsstätte versteuert werden, entfällt dies nun. Zusätzlich könnten dafür ggf. Reisekosten erstattet werden.

Die neue Rechtsprechung ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Das gilt uneingeschränkt für das Jahr 2012, sofern der Lohnsteuerabzug für das Jahr 2011 noch nicht durch Übersendung der Lohnsteuerbescheinigung abgeschlossen ist, auch für dieses Jahr. Wurde die Lohnsteuerbescheinigung 2011 bereits übersandt, kommt ggf. noch eine Änderung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers in Betracht. Das gilt auch für weiter zurück liegende Jahre.

Hinweis: Bei der Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers durch Arbeitsvertrag dauerhaft zugeordnet wird, wie lange er sich dort aufhält und wo sich sein Tätigkeitsmittelpunkt befindet. Trotz der recht knappen Anweisung aus der Finanzverwaltung, wie die neue Rechtsprechung anzuwenden ist, bleiben Zweifel. Die Verwaltung geht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte aus, wenn der Mitarbeiter – wahrscheinlich im Durchschnitt – dort einen vollen Arbeitstag oder mindestens 20 % seiner vereinbarten täglichen Arbeitszeit arbeiten soll. Das muss im Voraus prognostiziert werden. Gestaltet sich der Ablauf dann doch unplanmäßig, könnte dies bei einer späteren Prüfung für Probleme sorgen. Im Übrigen haben Arbeitnehmer bereits dann eine regelmäßige Arbeitsstätte, wenn sie den Betrieb arbeitstäglich aufsuchen. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange sie sich dort aufhalten oder was dort erledigt wird. Mitarbeiter mit Fahrtätigkeit oder Einsatzwechseltätigkeit, z.B. auf Baustellen, die täglich nur kurz den Betriebssitz aufsuchen, hätten nach der BFH-Rechtsprechung keine regelmäßige Arbeitsstätte, nach der Vermutungsregel der Finanzverwaltung schon. Diese Vermutung müsste durch Nachweise wiederlegt werden.

Quelle: BMF-Schreiben vom 15. Dezember 2011, IV C 5 S 2353/11/10010, DStR 2011 S. 2461
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