Steuer-News-Archiv
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Montag, 01.01.2018

Anschrift des leistenden Unternehmers in Rechnungen

Der EuGH hatte auf Vorlage des BFH zu entscheiden, ob für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug die in den Rechnungen geforderte Anschrift des leistenden Unternehmers voraussetzt, dass dieser unter der angegebenen Anschrift auch seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet oder ob auch ein Briefkastensitz ausreichend ist.

Im ersten Fall ging es um einen Kfz-Händler, der im Jahr 2008 für von einer GmbH erworbene Fahrzeuge den Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte. Das Finanzamt erkannte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen nicht an, weil es sich um eine Scheinfirma gehandelt habe, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt habe. Das Finanzgericht stellte fest, dass die GmbH unter der Rechnungsanschrift zwar postalisch erreichbar gewesen war (Unterhaltung eines Buchhaltungsbüros), dort aber keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden hätten. Das Umsatzsteuergesetz kenne aber den Schutz des guten Glaubens nicht. Daher käme ein Vorsteuerabzug nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme in Betracht.

Im zweiten Fall ging es ebenfalls um einen KfzHändler, der von einem gewerblichen Autoverkäufer die Fahrzeuge erworben hatte. Unter der angegebenen Rechnungsadresse erhielt der Verkäufer zwar seine Post und wurde mit der Anschrift auch beim Finanzamt geführt, er unterhielt dort aber kein Autohaus, sondern vertrieb die Fahrzeuge ausschließlich im Onlinehandel. Das Finanzamt verweigerte den Vorsteuerabzug aus den Fahrzeugkäufen, da die in den Rechnungen ausgewiesene Anschrift des leistenden Unternehmers tatsächlich nicht bestanden habe. Diese Anschrift diene nur als „Briefkastenadresse“. Eine Betriebsstätte habe im Inland nicht bestanden.

Die Fälle landeten beide vor dem BFH, der sie wiederum dem EuGH vorlegte. Dieser stellte dazu nun Folgendes fest:

In der Europäischen MehrwertsteuersystemRichtlinie (MwStSystRL) seien die Angaben aufgeführt, die eine Rechnung enthalten müsse. Nach dieser Vorschrift seien insbesondere der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers anzugeben. Aus dem Wortlaut der Vorschrift könne nicht geschlossen werden, dass hiermit zwingend der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit des leistenden Unternehmers gemeint sei. Der Begriff der Anschrift werde allgemein weit verstanden und umfasse jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern die Person unter dieser Anschrift erreichbar ist.

Die in der MwStSystRL geregelten obligatorischen Rechnungsangaben angesichts der mit diesen Angaben verbundenen Verpflichtungen seien in dem Sinne eng auszulegen, dass die Mitgliedstaaten keine strengeren Verpflichtungen vorsehen dürften als diejenigen, die sich aus der MwStSystRL ergeben.

Somit sei es für die Ausübung des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger nicht erforderlich, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werde, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist.

Hinweis: Der BFH wird seine restriktive Rechtsprechung nun aufgeben müssen. In Zeiten des boomenden Internethandels hat diese Entscheidung des EuGHs erhebliche praktische Bedeutung. Heute lässt sich ein Unternehmen von praktisch jedem Ort aus leiten. Sogenannte Internetnomaden, die ohne festen Wohnsitz durch die Welt reisen und ihre gewerbliche Tätigkeit mit einem Laptop betreiben, sind keine Seltenheit mehr. Für den Leistungsempfänger ist es oft unmöglich, zu überprüfen, ob der Leistende an der angegebenen Rechnungsadresse wirtschaftlich tatsächlich tätig ist. Durch das Urteil des EuGH müssen Unternehmer nicht mehr fürchten, dass ihnen der Vorsteuerabzug versagt wird, nur weil es ihnen nicht möglich ist, nachzuweisen, dass der Leistungsempfänger an der angegebenen Adresse wirtschaftlich tätig ist.

Quelle: EuGH-Urteil vom 15. November 2017, C 374/16 und C 375/16, NWB Dok-ID: ZAAAG-62440
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